Mag sein, dass Pferderennen nicht jedermanns Ding sind. Um sich der Sache jedoch mal ganz unverbindlich zu nähern, wäre die Leipziger Galopprennbahn Scheibenholz der richtige Ort, zu ihrem 150-Jährigen. Im Jubiläumsjahr plant der Leipziger Reit- und Rennverein Scheibenholz e.V. vier Renntage. Und Sachsenlotto ist auch am Start.
Jetzt! Jetzt kommen die Pferde aus der letzten Kurve. Das Gemurmel auf der Tribüne schwillt an. Die Brüstung muss einen Trommelwirbel von Faustschlägen über sich ergehen lassen. Schreien und Stampfen hier. Versteinertes Umkrallen des Fernglases da. Die Nerven liegen blank. Nicht so beim Rennkommentator. Unbeirrt und hochkonzentriert macht der seinen Job. Monoton und scheinbar ohne Luft zu holen, das Fernglas mit beiden Händen haltend, lässt er die Infos in sein Headset-Mikro fließen: „Vorn liegt immer noch … dahinter … weit abgeschlagen …“.
Dann der Einlauf. Auf der Tribüne, den Aussichtsplattformen und den Hügeln am Rande der Strecke springen die einen jubelnd in die Luft und umarmen ihre Nachbarn. Die anderen sinken fluchend in sich zusammen – ganz mit sich allein. Laut Statistik haben die meisten nur einige Euro gesetzt; doch das hat offenbar wenig mit dem Gipfel des Glücksgefühls oder dem Abgrund der Enttäuschung zu tun. Rennplatzatmosphäre.
Da geht es auch nicht nur um die Pferde und die Wetten. Vermutlich ist nur das (nicht vorhandene) Fernglas ein Kriterium, das die Bahnbesucher in zwei Lager teilt: Turf-Freunde und sonstige Freunde. Man trifft sich zum Small-Talk auf der Tribüne und erhofft Aufmerksamkeit.
Selbst zum für Leipziger Verhältnisse noblen Moderenntag am 28. Mai 2017 kleidet sich jeder, wie er mag: Mit Frack, Zylinder und Gehstock oder mit Jeans, Mütze und Wetterjacke. Auch Spitzenkleid mit High Heels und Gänsehaut wird gern getragen. Egal wie kühl, Hauptsache cool. Die Grenzen zwischen Kleidung und Kostümierung sind bei alledem fließend.
Turfstadt Leipzig
Die Leipziger ziehen seit 150 Jahren zur Galopprennbahn ins Scheibenholz. Ein Rennklub wurde schon im Mai 1863 gegründet; im darauffolgenden September fand auf dem Heineschen Postgut bei Schönau der erste Renntag statt. Seit 1866 darf sich Leipzig „Turfstadt“ nennen, denn damals wurde dem Rennklub von der Stadt die Ratswiese am Scheibenholz überlassen. 1867 wurde die erste Tribüne eingeweiht, 1907 die heutige. Die noch aktuelle Form der Rennbahn entstand 1932. Am 12. August 1945 fand in Leipzig der erste deutsche Nachkriegsrenntag statt. Die denkmalgeschützte Zuschauertribüne mit den beiden stattlichen Türmen hat auch Jahrzehnte der Tristesse durchlebt; jetzt strahlt sie wieder weiß.
Den Auftakt der Leipziger Galoppsaison bildete auch im Jubiläumsjahr der Aufgalopp am 1. Mai. Drei weitere Renntage folgen. Zum Moderenntag 28. Mai präsentieren sich – neben den Pferden und Reitern natürlich – Designer und Modelabels. Verliehen wird wieder der Titel „Mr. & Mrs. Scheibenholz 2017“. Im Hauptrennen am Moderenntag geht es um den Sachsenlotto-Cup.
Am 16. September folgt der Jubiläumsrenntag. Den Saisonabschluss bildet der Internationale Renntag am 28. Oktober, der in diesem Jahr die Leipziger Partnerstadt Lyon in den Fokus rückt. Und nicht nur ums Galoppieren geht es: Ende Juli werden für die zweite Auflage des „LVZ Sommerkinos im Scheibenholz“ die Liegestühle aufgeklappt und wird die 200 Quadratmeter große Leinwand aufgeblasen. Flohmarktwochenenden zwischen Mai und Oktober ergänzen das Programm.
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Marlis Heinz