Gibt es eine Formel für Glück? Kann uns Mathematik helfen, unser Leben schöner und erfolgreicher zu gestalten? Und welche Tipps hat ein Statistiker für alle, die beim Eurojackpot ihr Glück versuchen wollen? Prof. Dr. Christian Hesse, Leiter der Abteilung für Mathematische Statistik an der Universität Stuttgart, hat sich unseren Fragen gestellt.
Herr Prof. Hesse, lassen sich Glück und Erfolg tatsächlich berechnen?
Zunächst einmal freut es mich, dass Sie sich mit Ihrem Thema Glück an einen Mathematiker gewandt haben und nicht zum Beispiel an einen Philosophen. Meine These ist es nämlich, dass man mithilfe der Mathematik über alles nachdenken kann und teils zu überraschenden Erkenntnissen kommt.
Was Ihre konkrete Frage betrifft, ist zunächst zu bemerken, dass es die verschiedensten Formen von Glück und Erfolg gibt. Zum Beispiel Losglück, Lottoglück, Wetterglück, Eheglück, Kinderglück, sowie auch schulische, sportliche, unternehmerische Varianten des Erfolges.
In manchen Settings und Szenarien kann man tatsächlich Glück und Erfolg mathematisch berechnen. Dafür dient die mathematische Theorie der Wahrscheinlichkeiten. Zum Beispiel beim Elfmeterschießen am Ende eines Fußballspiels ist die Wahrscheinlichkeit 60 Prozent, dass die zuerst schießende Mannschaft gewinnt.
Oder was das Eheglück betrifft: Ein Mathematiker und ein Psychologe haben in einer jahrzehntelangen Studie herausgefunden, dass jene Ehen glücklich sind und mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit dauerhaft halten, in denen es fünfmal mehr Positives als Negatives gibt. Einmal lieb sein für einmal böse, dieser 1:1-Ausgleich reicht nicht aus: Wenn man zum Beispiel mal patzig war, muss man fünfmal wieder in irgendeiner Form positiv auf den anderen zugehen.
Wie viel im Leben haben wir durch bewusste Entscheidungen überhaupt in der Hand? Ist am Ende nicht doch (fast) alles Zufall?
Im Leben der meisten Menschen basiert tatsächlich viel auf Zufälligkeiten. Etwa ob ich die richtigen Menschen kennengelernt habe für eine glückliche Partnerschaft, für bereichernde Freundschaften, für ein kollegiales Miteinander oder gute Aufstiegschancen im Beruf.
Nicht wenig basiert aber auch auf eigenem Einsatz und wohlüberlegten persönlichen Weichenstellungen. Man kann am eigenen Glück auch arbeiten, also Voraussetzungen schaffen, um mit größerer Wahrscheinlichkeit Glück zu haben oder erfolgreich zu sein. Und um umgekehrt manche Dinge bleiben zu lassen, mit denen man Selbstsabotage betreibt oder seine Risiken vergrößert. Wer zum Beispiel mit 17 Jahren beginnt, jeden Tag 15 Zigaretten zu rauchen, verkürzt sein Leben statistisch betrachtet um sieben Jahre. Heruntergerechnet auf jede einzelne Zigarette bedeutet es, dass sie das Leben um elf Minuten verkürzt.
Es gibt aber auch Dinge, die das Leben verlängern. Wo wir eben vom Eheglück sprachen: Verheiratete Männer leben im Vergleich mit männlichen Singles im Schnitt neun Jahre länger. Bei Frauen beträgt dieser Longer-Life-Effekt einer Partnerschaft immerhin noch sechs Jahre.
Sie geben den Tipp, zum Beispiel bei Gehaltsverhandlungen auf den Ankereffekt zu setzen. Was hat es damit auf sich?
Der Ankereffekt ist ein Wirkmechanismus, der bedingt, dass wir in Richtung eines vorab präsentieren Zahlenwertes, des Ankers, urteilen. Wenn man zum Beispiel Menschen fragt, ob der Rhein länger als 1000 Kilometer ist und sie dann bittet, dessen Länge zu schätzen, dann geben die meisten Menschen weitaus kleinere Schätzwerte an, als wenn man sie vorab gefragt hat, ob der Rhein länger als 3000 Kilometer ist. Sie sind also durch die genannte Zahl verankert worden.
Deshalb sollten Sie bei Gehaltsverhandlungen mit dem Chef unbedingt zuerst Ihre Vorstellungen nennen. Wenn Sie zum Beispiel wissen, dass einer Ihrer Kollegen in Ihrer zukünftigen Abteilung für die gleiche Arbeit 50.000 Euro Gehalt bekommt und ein anderer 70.000 Euro, dann würde ich Ihnen raten beim Chef-Gespräch nicht etwa den Mittelwert 60.000 als Ihren Gehaltswunsch zu nennen, sondern vielmehr 80.000 Euro. Der Chef wird durch diese Zahl verankert. Er weiß natürlich, dass er für dieselbe Tätigkeit unterschiedliche Gehälter zahlt. Insofern wird ihn die von Ihnen genannte Zahl nicht überraschen und selbst wenn er von diesem Wert aus Ihr Gehalt etwas nach unten festsetzt, werden Sie damit besser fahren.
Und bei welchen Gelegenheiten im Alltag könnten wir uns diese Gesetzmäßigkeiten zunutze machen?
Den eigenen Wert sollte man in der Selbstpräsentation als höher bemessen und nicht hoffen, dass man sympathischer wirkt, wenn man bescheidener ist. Denn bei einer höheren genannten Zahl, etwa beim Gehaltsgespräch, wirkt auch der sogenannte Marketing-Placebo-Effekt zu Ihren Gunsten: Was teurer ist, wird ganz automatisch auch für besser gehalten. Nicht umsonst gilt im Kunsthandel die Faustregel: Verkauft sich ein Kunstwerk nicht, verfünffache den Preis!
Was sagt der Statistiker: Sollte man beim Lotterie-Tipp gängige Zahlen wie Geburtstage oder Muster auf dem Spielschein eher meiden? Und warum?
Alle Geburtstage, Hochzeitstage und ähnliche Tage mit einer besonderen Bedeutung sollte man nicht tippen. Bei zig-Millionen Lottospielern gibt es immer ein paar Dutzend. die mit demselben Datumstipp ins Rennen gehen. Dasselbe gilt für Muster aller Art auf dem Tippzettel – Diagonalen, Kreuze, Linien – oder Progressionen wie 7, 14, 21, usw. Das sollte vermieden werden. Ganz egal, wie einfallsreich das gespielte Muster auch sein mag. Bei der Vielzahl der Spielerinnen und Spieler gibt es immer einige, die ebenso einfallsreich waren. Und wenn man gewinnt, muss man den Gesamtgewinn für die entsprechende Gewinnklasse mit diesen Spielern teilen.
Wenn Sie auch mittippen und wider Erwarten gewinnen würden – was würden Sie zum Beispiel mit zehn Millionen Euro tun?
Ich würde alle offenen Kredite, Hypotheken und Sonstiges abbezahlen und dann allen Menschen, die mir am Herzen liegen, eine kleine Freude machen. Den Rest würde ich irgendwie anlegen und dann ungefähr so genügsam weiterleben wie bisher.
Sie haben einen international geschätzten Schach-Bestseller geschrieben.
Was fasziniert Sie an diesem Spiel? Ist es ausschließlich die mathematische Seite?
Die mathematisch-logische Seite spielt auch eine wichtige Rolle. Aber da ist noch mehr: Schach ist zwar eine geistige Kampfsportart, aber gleichzeitig ein Resonanzboden für Ästhetik, Leidenschaft und wunderbare Harmonie zwischen logischen und paradoxen Ideen. Darüber hinaus sind es ebenso die illustren und faszinierenden Persönlichkeiten in der Schachwelt, mit denen ich das Glück habe, befreundet zu sein, wie zum Beispiel mit den Ex-Weltmeistern Vladimir Kramnik und Viswanathan Anand oder Judit Polgar, der „besten Schachspielerin aller Zeiten im bekannten Teil des Universums“.
Schach bietet auch eine wunderbare Möglichkeit über die Distanz in Kontakt zu bleiben. Mit einem ägyptischen Kollegen spiele ich seit mehr als 20 Jahren, indem wir uns per E-Mail die Züge hin- und herschicken. Ungefähr einen Zug pro Monat. Insofern dauern die Partien immer einige Jahre. Seit 1998 haben wir etwa sechs oder sieben Partien gespielt. Das war unser Medium, den Kontakt zu halten. Denn man schickt nicht nur den nächsten Zug, sondern schreibt: „Läufer nach c4 und wie geht’s dir, wo bist du gerade, woran arbeitest du, was machen die Kinder?“
Zum Schluss: Was macht Sie persönlich glücklich – außer Mathematik?
Das ist ganz klar meine Familie sowie auch meine Freunde. Letztere sind leider weit verstreut, aber heutzutage gibt es ja durch das Internet gute Möglichkeiten, audiovisuell zu kommunizieren.