In Harmonie mit sich selbst und mit der Welt leben: So lautet die Formel, die für den Philosophen Christoph Quarch als Wegweiser zum Glück fungiert. Im Interview beantwortet er unsere Fragen
Herr Quarch, aus Sicht des Philosophen betrachtet – wie glücklich lebt der moderne Mensch?
Das, was die Menschen heute größtenteils als Glück bezeichnen, macht sie längst nicht immer glücklich. Im Gegenteil: Das heute geläufige konsumierbare Glück ist oft gerade das größte Hindernis auf dem Weg zu einem wahren und erfüllten Leben. In den vergangenen Epochen der Kulturgeschichte gab es immer wieder unterschiedliche Vorstellungen davon, was Glück ist – abhängig von den jeweiligen Erfahrungen der Menschen und ihren Lebensumständen. Deshalb können wir heute viel von anderen Kulturen und aus früheren Epochen lernen, zum Beispiel von den Griechen der Antike, die ein ganz anderes, tiefergehendes Verständnis für Glück hatten.
Wie lautet Ihre Definition von Glück?
Sprache verrät viel über unser Denken. Im Deutschen wird „Glück“ immer auch mit dem Begriff „Zufall“ gleichgesetzt. Andere Sprachen wie Latein oder Englisch haben unterschiedliche Worte für das Zufallsglück beim Glücksspiel und das große Glück eines erfüllten Augenblicks. Und dann gibt es auch noch dieses kleine konsumierbare Glück der Wunschbefriedigung. Ich nenne es klein, weil es immer nur für einen begrenzten Zeitraum anhält und in einer Art Hamsterrad gefangen hält. Das oberflächliche Glück des Konsums hat nichts mit dem Glück zu tun, das wirklich die Tiefe der Seele berührt.
Und wie fühlt sich dieses echte Glück an?
Das nachhaltige Glück entsteht, wenn wir Sinn erfahren, wenn wir das Gefühl haben: Alles stimmt. Die Welt ist so in Ordnung, wie sie ist. Diese Erfahrung von Harmonie und Schönheit weckt jene leidenschaftliche Begeisterung im Herzen, welche die Griechen „Eros“ nannten. Wer vom Eros ergriffen ist, läuft deshalb nicht dem flachen Glück hinterher, sondern strebt nach dem großen nachhaltigen Glück. Das hat viel mit Interaktion, mit Erleben und Kommunikation zu tun. Das kleine Glück der Zielerreichung und Wunscherfüllung, auf das der Homo oeconomicus abzielt, reicht uns auf Dauer einfach nicht – dafür ist der Mensch ein viel zu komplexes Wesen.
Gibt es eine Anleitung, die uns mit Sicherheit zum Glück führt?
Sprüche wie „Der Mensch ist seines Glückes Schmied“ halte ich für falsch. Wir können Glück nicht machen, aber wir können offen und empfänglich sein, uns auf die Welt, auf die Menschen und die Natur einlassen. Dennoch ist am Ende vieles Zufall. Eine Glücksrezeptur gibt es nicht. Entscheidend ist, dass wir uns empfänglich halten für die Angebote, die das Leben uns macht. Wenn wir das tun, können wir unser Potenzial entfalten und verhindern, dass wir unter unseren eigenen Möglichkeiten bleiben. Die sicherste Methode, nicht glücklich zu werden, ist es aus meiner Sicht jedenfalls, sich nur in den eigenen vier Wänden einzuigeln und nicht das Miteinander mit anderen zu suchen.
Kann ein Lotteriegewinn etwa beim Eurojackpot dabei helfen, glücklicher zu leben?
Ganz einfach: Es hängt davon ab, was der Gewinner oder die Gewinnerin damit macht. Ich würde empfehlen, nicht kurzfristigen Konsumverlockungen zu folgen, sondern den Gewinn als Chance zu sehen, um in sich hinein zu hören: Was möchte ich wirklich mit meinem Leben anfangen, was möchte ich verändern? Und: Was braucht die Welt von mir? Geht es mir darum, die Welt zu bereisen, ein Unternehmen zu gründen, Gedichte zu schreiben oder Notleidenden zu helfen? Die materielle Sicherheit eines Geldgewinns ist eine gute Voraussetzung dafür, offenen Herzens durch die Welt zu gehen und etwas Sinnvolles zu tun, was mich und andere glücklich macht.
Wird aus Ihrer Sicht Corona unsere Vorstellung vom Glück verändern?
Sicherlich macht es die Pandemie aktuell schwieriger, glücklich zu sein, da Naturerlebnisse, die Interaktion mit anderen, Kommunikation und Sport so stark eingeschränkt sind. Digitale Kontaktmöglichkeiten sind in dieser Situation zwar hilfreich, dennoch spüren viele, dass ihnen derzeit etwas fehlt für ihr essenzielles Glück. Vielleicht kann dies sogar eine positive Erfahrung der Pandemie sein – wenn sie dazu führt, dass wir das tiefe Glück der menschlichen Nähe wiederentdecken.
Zur Person
Dr. phil. Christoph Quarch, geboren 1964, ist Philosoph, Buchautor (zuletzt „Eros und Harmonie – Eine Philosophie der Glückseligkeit“), renommierter Platon-Spezialist und Kenner des griechischen Geistes. Er lehrt Ethik und Wirtschaftsphilosophie, ist als Redner und Berater für Unternehmen tätig. Mehr Informationen unter christophquarch.de.