Bedeuten mehr Einkommen und mehr Vermögen automatisch mehr Glück? Oder kommt es auf ganz andere Faktoren an, um unsere Lebenszufriedenheit zu verbessern? Prof. Mathias Binswanger, international renommierter Ökonom und Glücksforscher aus der Schweiz, beantwortet diese Fragen im Interview.
Herr Prof. Binswanger, wie wichtig ist Geld für unser Glück?
Es kommt sehr auf die Situation an. Wer wenig Geld hat, freut sich buchstäblich über jeden zusätzlichen Euro. Bin ich jedoch reich und werde plötzlich schwerkrank, bekommt mein Leben ganz andere Schwerpunkte, trotz allen Geldes. Studien zeigen, dass in hoch entwickelten Ländern die Menschen mit mehr Einkommen nicht automatisch auch ihr Glück steigern. Wirtschaftswachstum verbessert per se nicht unser Glücksempfinden.
Materiell geht es uns gut, dennoch sind viele mit ihrem Leben eher unzufrieden, fühlen sich permanent gestresst und unter Druck. Wie passt das zusammen?
Wenn wir es im historischen Kontext vergleichen, stellen wir fest: Wir haben noch nie so gut gelebt wie heute. Wir haben eine höhere Lebenserwartung als unsere Vorgängergenerationen, mehr Freizeit, eine bessere Gesundheit, sind im Durchschnitt vermögender. Der eigentliche Engpass des Glücks liegt in meinen Augen in anderen Lebensbedürfnissen. Wie intakt sind etwa Familie und Freundeskreis, haben wir ein funktionierendes Sozialleben? Habe ich Freude an meiner Arbeit? Dass immer mehr Menschen vereinsamen, stellt ein zunehmendes gesellschaftliches Problem dar, das wir nicht unterschätzen dürfen.
Hinzu kommt, dass unsere heutige Kultur uns zu permanenter Unzufriedenheit motiviert. Wer etwa sagt „Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe“, macht sich bei vielen gleich verdächtig. Wir wollen immer mehr erreichen, uns neue Ziele setzen, immer besser werden und immer mehr besitzen. Dieser Druck ist dem eigenen Glück natürlich nicht zuträglich.
Wie glücklich fühlen Sie sich selbst?
Ziemlich glücklich, da mein Leben generell angenehm und hin und wieder sogar spannend verläuft. Ich kann mich mit Dingen beschäftigen, die mich tatsächlich interessieren. Das ist ein enormes Privileg! Das führt zu einem weiteren Faktor, der unser Glücksempfinden negativ beeinflussen kann. Wer fremdbestimmt ist oder sich so fühlt, ist meistens nicht glücklich. Daher ist es essenziell für uns, herauszufinden, was man wirklich will und was die persönlichen Interessen sind. Im Idealfall gehen dann Beruf und Privatleben nahtlos ineinander über. Wenn wir Dinge unternehmen und uns einsetzen und anstrengen für etwas, was uns Freude macht – egal ob in Beruf oder Privatleben –, dann wird sich mehr Glück quasi von selbst als Nebeneffekt einstellen.
Kann uns ein plötzlicher Geldgewinn, zum Beispiel beim Eurojackpot, glücklicher machen?
Es kommt darauf an, was wir daraus machen. Ich würde empfehlen, erst einmal das Geld liegen zu lassen, keine überstürzten Anschaffungen wie Häuser oder Sportwagen zu tätigen, sondern in Ruhe zu überlegen: Was ist mir wirklich wichtig, was fehlte mir bisher in meinem Leben, wie will ich wirklich meine Zukunft gestalten? Wenn wir den Gewinn in diesem Sinne nachhaltig einsetzen, kann das durchaus dauerhaft unser Glücksempfinden verbessern – und nicht nur kurzfristig. Wichtig ist es aber aus meiner Sicht auch, niemandem von dem Millionengewinn zu erzählen, um nicht in unangenehme Situationen oder Zwänge zu kommen.
Eine Begleiterscheinung der aktuellen Krise ist das weitverbreitete Arbeiten im Homeoffice. Bedeutet das für Sie eher Fluch oder Segen? Oder handelt es sich sogar um etwas, was wir uns auch nach Corona erhalten sollten?
Ich bin überzeugt, dass längerfristig nicht allzu viel bleiben wird aus der heutigen Corona-Krise. Aber zwei Dinge werden überdauern: mehr Homeoffice – und weniger fliegen!
Das Arbeiten im Homeoffice stellt einen erheblichen Beitrag zu mehr Glück dar. Wir können plötzlich – trotz aller Herausforderungen mit dieser neuen Situation – flexibler arbeiten, brauchen nicht mehr so viel zu pendeln, stehen weniger in Staus, haben mehr Zeit für unsere Lieben. Studien zeigen: Verkehrsstaus zählen zu den Situationen, in denen wir uns am unglücklichsten fühlen.
Gleichzeitig dürfte meines Erachtens auch das Thema Arbeitszeit an Bedeutung verlieren. Zu viele Menschen werden immer noch nach Anwesenheit bezahlt. Das macht in den allermeisten Berufen aber gar keinen Sinn mehr. Die Frage, ob wir 35 oder 40 Stunden arbeiten, ist nicht entscheidend. Es kommt darauf an, Aufgaben zu erfüllen und eine bestimmte Leistung in einer definierten Zeit zu erbringen. Ich denke, die Arbeitswelt nach Corona wird sich in dieser Hinsicht nachhaltig verändern.
Gibt es aus Ihrer Sicht ein Glücksrezept, das wir uns alle zu eigen machen können?
Es ist hilfreich, immer wieder zu überlegen: Was macht mich überhaupt glücklich? Wir hängen so sehr in festen Lebensstrukturen fest, dass viele von uns diese Frage gar nicht beantworten können.
In jedem Fall ist der Mensch ein soziales Wesen. Das Miteinander ist ein wichtiger Bestandteil unseres Glücks. Wenn man kein intaktes Sozialleben hat, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die jeweilige Person nicht sehr glücklich ist in ihrem Leben. Zeit für die Familie haben, einen intakten Freundeskreis pflegen, sich ehrenamtlich engagieren, gesellschaftlich gut integriert sein – das sind ganz wesentliche Bausteine für unser Glück.
Zur Person
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er war zusätzlich Gastprofessor an der Technischen Universität Freiberg in Deutschland, an der Qingdao Technological University in China und an der Banking University in Saigon (Vietnam). Mathias Binswanger ist Autor von zahlreichen Büchern und Fachartikeln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen.
Autor: Oliver Schönfeld.
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