Zittau – auf Entdeckungsreise im Herzen Europas
Für jene Touristen, deren Perspektive bestenfalls bis Dresden reicht, versteckt sich Zittau weit hinterm Horizont. Für Neugierige liegt es in der Mitte Europas. Zu sehen gibt es dort reichlich. Zu hören und zu kosten auch.
Felix Weickelt kommt die 266 Stufen heraufgestürmt und erreicht fast ohne Schnaufen seine Wohnung, die höchstgelegene in Zittau. Er ist der Türmer der Johanniskirche und demzufolge im steten Treppen-Training. Die Eile gebietet ihm ein Blick auf die Uhr: Es ist gleich fünf vor zwölf. Ehe die Glocken läuten, soll noch seine Trompete tönen. Er wirft sich den Umhang um die Schultern, schnappt sich das Instrument und tritt auf den Rundum-Balkon seines Zuhauses, „…das aber eigentlich nur die Dienststelle des jeweiligen Türmers ist“, wie er betont.
Vor ihm hatte es viele Jahre keinen gegeben, der hier nicht nur seine Arbeit tat, sondern auch sein Bett aufstellte. Dann beginnt Weickelt zu blasen und schickt die Melodie über die unter ihm liegenden Dächer und zu den vielen anderen Kirchtürmen der Stadt. Jeden Tag eine andere, wie ihm gerade zumute ist.
Es ist gemütlich in der Türmerstube mit dem dunkelgrünen Kachelofen und den Dielen, über die Kater Johannes schleicht, ehe er sich bei der Elektro-Heizung einrollt. Sogar ein Klavier und ein riesiges Bücherregal haben Felix‘ Freunde bei Dienstantritt vor drei Jahren heraufgeschleppt. Eigentlich wollte der studierte Musiker, der eine halbe Stelle bei der Kirchgemeinde und eine halbe bei der Musikschule hat, schon weitergezogen sein. Aber irgendetwas hat ihn wohl gehalten. Vielleicht der Blick bis hinüber nach Böhmen? Vielleicht auch die Gäste, die unten am Fuße des Turmes für freien Eintritt auch mal einen Eimer Kohlen oder eine Kiste Saft greifen und zu ihm heraufschleppen? Oder einfach nur das Wissen, in einer langen Ahnenreihe von Türmern zu stehen?
Stadttouren mit Nachtwächter, Marktfrau oder Stadtwache
Vermutlich ist er der einzige Zittauer, der mit seinem Gewand nicht in eine Rolle schlüpft. Andere spielen die originellen Typen nur – aber müssen sie trotzdem auch irgendwie sein. Jochen Kaminsky zum Beispiel, tritt mal als Hausmeister auf seiner „kleinsten Kabarettbühne der Welt“ auf, mal – gemeinsam mit einer aufmüpfigen Schankmagd – als Mönch in Gaststuben. Oder wie heute als Nachtwächter mit Laterne und Hellebarde. Sein Trüppchen ist am Salzhaus zusammengekommen und zieht ihm hinterher über die Plätze und durch die Gassen der Stadt, schaut sich Brunnen und Portale an, Kirchen und Gasthäuser.
Auch wenn die Stadt mit ihren gerade mal 27.000 Einwohnern nicht eben eine Metropole ist, an originellen Stadttouren mangelt es nicht: Man kann mit der Marktfrau oder dem Hauptmann der Stadtwache umherstreifen, am Tage oder während der „Geisterstunde“ unterwegs sein, durchs jüdische Zittau oder auf dem Erinnerungspfad Zittau `89, in die einzige Kokoshandweberei Europas, in die Kirche St. Johannis, in die Keller oder das Stadtbad schauen. Dem Großen und dem Kleinen Fastentuch, das sind religionshistorische Kostbarkeiten, sind extra Führungen gewidmet.
Und wohin am Ende des Tages? Soll es wirklich Oberlausitzer Küche sein, wäre das Wirtshaus “Zum Alten Sack” im Erdgeschoss des Salzhauses ein Tipp. Wenn der Chef Peter Besser mal nicht Bier zapft oder zwischen den Tischen umhersaust, übersetzt er seine Speisekarte mit den Spezialitäten. Weil er das aber nicht immer kann, hat er eine Art Wörterbuch verfasst: Abern – Kartoffeln, Abernmauke – Stampfkartoffeln, Stupperchl – scheibenförmiger Kartoffelkloß, Teichlmauke – Stampfkartoffeln mit Rinderbrühe, Rindfleisch und Wurzelwerk, Furzwulle – Sauerkraut …
Aber nicht vergessen zu lauschen: Fünf vor Sechs am Abend, bläst Türmer Felix wieder.
Weitere Informationen:
http://www.zittau.de/de/tourismus-kultur-freizeit/tourist-Information
Blick in den Kalender:
• Noch bis 18.01.2018 läuft im Museum Franziskanerkloster die Sonderschau „Ganz anders. Die Reformation in der Oberlausitz“
• Zittauer Weihnachtsmarkt vom 13.12. bis 17.12.2017
Autorin: Marlis Heinz